V. Hug u.a. (Hrsg.): Adolf Traugott von Gersdorfs Schweizer Reise 1786

Cover
Titel
Adolf Traugott von Gersdorfs Schweizer Reise 1786.


Herausgeber
Hug, Vanja; Schmid, Martin; Folkers, Gerd
Reihe
Edition Collegium Helveticum (10)
Erschienen
Zürich 2018: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
440 S.
von
Tobias Krüger

Der vorliegende Sammelband ist aus den Referaten eines 2008 abgehaltenen Workshops zur Forschungsreise des sächsischen Barons Adolf Traugott von Gersdorf im Jahr 1786 durch die Schweiz hervorgegangen. Erfreulicherweise liegen sie nun als Veröffentlichung vor.

Zu Beginn des Bands stellt die Historikerin Vanja Hug im Editorial die vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Edition des Reiseberichts von Gersdorfs vor. Die 2009 abgeschlossene Bearbeitung soll in erster Linie eine zuverlässige Transkription des Textes bieten. Aufgrund zeitlich und finanziell knapper Ressourcen wurde auf eine historisch-kritische Edition verzichtet. Zu Beginn des Editorials ist gleichzeitig von Edition und vorliegendem Buch die Rede, was verwirrend ist. Dann folgt eine informative Darstellung des Manuskripts, von dessen Textgenese, Aufbau und Inhalt. Ebenso wird das Vorgehen der Transkription dargelegt. Daran schliesst eine biografische Skizze Adolf Traugott von Gersdorfs und der begleitenden Personen an, die auch die Hintergründe der Reise beleuchtet.

Im längsten Beitrag des Bands geht die Geologin Anke Tietz auf «Die geowissenschaftlichen Objekte der Schweizer Forschungsreise Adolf Traugott von Gersdorfs und den nachfolgenden wissenschaftlichen Austausch bis 1807» ein. Sie richtet den Fokus auf die geowissenschaftlichen Objekte und die zugehörigen handschriftlichen Quellen. Im weiteren Verlauf ihrer qualitativ hochwertig illustrierten Studie nähert sich Tietz dem Untersuchungsgegenstand aus drei Richtungen: Zunächst fragt sie nach der Bedeutung von Objekten und Sammlungen. Mit einem praxeologischen Ansatz folgt sie Untersuchungen, die Praktiken der Wissenschaft in den Mittelpunkt stellen. Schliesslich richtet sie ihr Augenmerk auf die Akteure. Mit von Gersdorf wird ihr zufolge ein «typischer und bisher nahezu unbekannter Privatforscher des späten 18. Jahrhunderts» in den Blick genommen.

In ihrem Beitrag «Bergabenteuer mit Goethe» vergleicht die Germanistin Margrit Wyder von Gersdorfs Alpenreise mit Erfahrungen Johann Wolfgang von Goethes und weiteren Personen aus dessen Umfeld auf ähnlichen Reisen. Dabei zeigt sich, dass bei von Gersdorf als Naturforscher die Wahrnehmung und die Beschreibung der Bergwelt im Zentrum stehen. Wyders Darstellung ist durch eine zugängliche Sprache angenehm zu lesen. Wenn sie schreibt, von Gersdorfs Patenkind Jean de Charpentier habe 1841 als Erster die Hypothese vertreten, Gletscher seien für die Verbreitung von erratischen Felsen verantwortlich (S. 204), irrt sie.

Mit der bildlichen Dokumentation der Schweizer Reise von Adolf Traugott von Gersdorf setzt sich der Kurator des Kulturhistorischen Museums Görlitz, Kai Wenzel, auseinander. Er fragt nach deren Entstehungsumständen und kulturgeschichtlichen Grundlagen. Geschult an den akademischen Regeln der Landschaftsdarstellung, lösten sich von Gersdorf und sein Reisebegleiter Karl Andreas von Meyer von Knonow von diesen und gelangten zu einer ihren Forschungsinteressen entsprechenden Zeichenweise. Dadurch können ihre Landschaftsdarstellungen eine gewisse Vorreiterrolle beanspruchen.

In ihrem zweiten Beitrag befasst sich Vanja Hug mit der naturgeschichtlichen Wissensgenese und dem Wissensaustausch in der Spätaufklärung. Zu Beginn geht sie auf die Frage ein, weshalb man im 18. Jahrhundert Naturforschung betrieb. Sodann skizziert sie den Kenntnisstand im Bereich der Topografie und der Glaziologie zur Zeit der Schweizer Reise von Gersdorfs. Anschliessend umreisst Hug Merkmale und Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens im Zeitalter der Aufklärung.

In seinem Beitrag befasst sich der Humangeograf Norman Backhaus mit der «Landschaftswahrnehmung im Reisetagebuch von Adolf Traugott von Gersdorf». Dabei wagte er den Versuch, dessen Reisebeschreibung von 1786 einer qualitativen Inhaltsanalyse zu unterziehen und anhand eines aktuellen Modells zur Landschaftswahrnehmung zu analysieren. Obgleich das im Beitrag eingeführte Konzept von Landschaft im 18. Jahrhundert keine Entsprechung hatte, lässt sich von Gersdorfs Reisebeschreibung nach Einschätzung von Backhaus damit gut erfassen. Backhaus zufolge vermitteln von Gersdorfs Reiseunterlagen einen Eindruck der landschaftlichen Wahrnehmung durch einen zeitgenössischen Naturforscher.

Auf seiner Schweizer Reise besuchte Adolf Traugott von Gersdorf das Naturalienkabinett Jakob Samuel Wyttenbachs. Der Anthropologe Hans-Konrad Schmutz widmet sich in seinem Beitrag dessen Sammlungs- und Präsentationsstrategie. Wyttenbach nutzte sein Kabinett für die naturwissenschaftliche Forschung, als Arsenal erkenntnisleitender Objekte, als Schulstube und als Salon. Dies illustriere, dass in der Spätaufklärung Naturalienkabinette zugleich privater und öffentlicher Raum gewesen seien. Erst ab etwa 1800 habe eine Trennung zwischen Forschungs- und Präsentationsräumen eingesetzt, was Schmutz wiederum am Beispiel Wyttenbachs zeigt. Schmutz stützt seine Aussagen durch quantitative Auswertungen und nutzt grafische Visualisierungen. Leider fehlt bei zwei Darstellungen die Angabe einer Skala (S. 306 f.).

Mit dem Landschaftsverständnis von Gersdorfs befasst sich der Landschaftsökologe Wolfgang Haber. Nach einer Skizze des zeitgenössischen Verständnisses von Landschaft wendet er sich von Gersdorf zu. Dessen Zeichnungen attestiert er ein Bemühen um Naturtreue. Soweit sie nicht Detailstudien dienten, vermittelten die Zeichnungen einen Gesamteindruck und erfüllten so eine Grundbedingung landschaftlicher Sicht. Im Reisebericht dagegen findet Haber wenig, was ein auf den Gesamteindruck zielendes Sehen erkennen lässt. Vielmehr herrsche eine «analytisch-deskriptiv-systematische» Einstellung gegenüber der Natur vor.

Die Publikation beleuchtet die Schweizer Reise von Gersdorfs in informativer Weise und hebt ausgewählte Aspekte hervor. Der Nutzen, insbesondere für die Forschung, wäre mit einer Gesamtbibliografie, allenfalls einem Personenverzeichnis, noch grösser gewesen. In jedem Fall bietet die Publikation eine wertvolle Einführung zur Edition des Reiseberichts, die im Internet zugänglich ist.

Zitierweise:
Tobias Krüger: Rezension zu: Hug, Vanja; Schmid, Martin; Folkers, Gerd (Hrsg.): Adolf Traugott von Gersdorfs Schweizer Reise 1786. (Edition Collegium Helveticum, Bd. 10). Zürich: Chronos 2018. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 56-58.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 83 Nr. 1, 2021, S. 56-58.

Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit